Die Schule für besonders begabte SchülerInnen in Mathematik/ Naturwissenschaften/ Informatik des Großraums Leipzig

Von Paprika, Libellen und Haribo

Die IBO 2019 in Szeged

 

Es gibt nur zwei Kategorien von Wissenschaftlern: Die einen behaupten, die Biologie sei gar keine echte Wissenschaft, sondern entweder Hamsterstreicheln oder angewandte Chemie. Der Rest (also alle Mediziner) ist der Ansicht, dass die Biologie die Königsdisziplin der Wissenschaften ist und ist dafür auch bereit, alle Personen abweichender Meinung auf dem Seziertisch zu opfern.

 

In diesem Spannungsfeld aus Meinungen treffen sich ein Haufen Deutsche (darunter Nantje Nageler, Bruno Ederer (beide aus Jena), Fabian Kutz (Frankfurt-Oder) und meine Wenigkeit1 zu Ferienbeginn in Dresden. Mit dabei ein Haufen Schweizer, da Deutschland und die Schweiz traditionell zusammen trainiert. Ziel: Die 30. Internationale Biologie-Olympiade in Szeged, Ungarn.

 

Folgende Einträge sind nur marginal chronologisch geordnet und wurden vorwiegend anhand ihres Unterhaltungswerts vollig subjektiv und überhaupt nicht repräsentativ ausgewählt. Aber hey, wer die Geschichte schreibt…

1) Vorbereitung


Natürlich geht es nicht sofort nach Ungarn. Um auch das Leistungsmaximum von uns Bioolympioniken auszuloten, gibt es vor der Olympiade nochmal eine Woche Intensivtraining. Also Theorievorbereitung, Vorträge, Wissenschaftliche Publikationen, Sezierkurs 1 (Maus), Botanikpraktikum, Pipettierkurs 1, Sezierkurs 2 (Wurm), Mikrobiologiepraktikum, Pflanzenbestimmung, Pipettierkurs, Pipettierwettbewerb (Deutsche gegen Schweizer), noch mehr Theorie, Übungsklausur, noch mehr Vorträge und das war erst der Montag.

2) Videowettbewerb

Den gibt es alljährlich bei der Biologieolympiade. Im Restaurant kommt die spontane Idee auf, doch schon mal die Videos zum diesjährigen Thema „I Bee Oh“2 auf der Fremdschamskala von 1 bis 10 zu evaluieren. Wir kommen bis Video 3, danach müssen wir die Aktion abbrechen.

3) Das Gastgeschenk

So ziemlich jedes Land bringt zur Internationalen Olympiade ein kleines Gastgeschenk in großer Stückzahl mit, sodass man dann mit den anderen Ländern tauschen und ins Gespräch kommen kann. Die deutschen Teilnehmer nehmen immer mehrere Kilo Haribo3 mit. Die Schweizer haben sich auch prophylaktisch schon mal mit 4 Kilo Basler Leckerli4 und Echten Appenzeller Bärli-Bibern5 eingedeckt.

Während der Olympiade sammeln wir ein: Ein Haufen Anstecker, diverse Süßigkeiten, einen Fächer (Japan), einen Klammerkoala (Australien), Rosenöl (Bulgarien), Kugelschreiber, noch mehr Kugelschreiber und natürlich – Basler Leckerli.

4) Die Wette

In der 4. Runde der IBO muss jeder der verbliebenen 12 Teilnehmer eine Wette eingehen nach dem Motto „Wenn ich ins Team komme, dann… “

Unsere vier Wetten waren: „… färbe ich mir die Haare rosa.“6

„… ziehe ich meine Sachen falschrum an.“

„… binde ich mir 50 rote Schleifen in die Haare.“

„… setzte ich mir eine Badeente auf den Kopf.“

 

Zu leisten sind diese Wetten immer, damits auch möglichst peinlich wird, bei der Cultural Night, wo nicht nur alleTeilnehmer, sondern auch ihre Betreuer anwesend sind.

 

5) Ungarn - Eröffnung

Und dann ging es auch schon nach Ungarn. Die Schweizer sind bereits einen Tag früher mit dem Zug in Richtung Budapest abgefahren. Ob das mit Rücksicht aufs angeknackste Weltklima geschah, oder nur, um in Prag noch einen Heben zu gehen, wollte man uns nicht so genau verraten. Erster wichtiger Programmpunkt: Die Eröffnungsveranstaltung, bei der traditionell die eigene Stadt gelobt7 und die eigene Olympiade beweihräuchert wird und alle Teams vorgestellt werden. Wir Deutschen sind da immer sehr beliebt, weil wir gleich die Situation nutzen und Haribo in die Menge werfen. Untermalt wurde die Veranstaltung mit ungarischem Volkstanz, einem klassischen Schuhplattler8 nicht unähnlich. Außerdem erfahren wir gleich noch die zwei Kulturgüter Ungarns: Gulasch und Paprika.

 

6) Szeged

Nachdem unsere Betreuer am Montag in den Übersetzer-Bunker gesperrt wurden9, konnten wir Szeged in einer kleinen Stadtralley erkunden.

Das einzige, was mir nachhaltig in Erinnerung geblieben ist, ist, dass Szeged Schauplatz eines periodischen, endemischen Naturereignisses ist, bei dem aus der Theiß, dem Fluss Szegeds, alle drei Jahre innerhalb weniger Stunden Milliarden an Libellen schlüpfen. Das hat zwar nichts mit der Olympiade zu tun, aber ich fands trotzdem krass.

Um die Veranstaltung (Achtung Wortwitz) nicht zu trocken zu gestalten, wurden allen Schülern von den Veranstaltern Wasserpistole in die Hand gedrückt, sehr zur Freude aller 300 IBO-Teilnehmer und sehr zum Ärger aller 100.000 Einwohner.

 

7) Smalltalk

Klassischer Smalltalk auf einer Internationalen Olympiade verläuft ungefähr so:

Hey, wer bist du?“ 10
„Ich bin X.“

Und woher kommst du?“
„Aus Y.“

Und was willst du studieren?“

Wahrscheinlich Z.“11

In meinem Fall kam dann noch dazu:

Hey, you have cool hair! How do you make that?“

 

So, well, you have kind of a needle and then you take a bunch of hair and stick the needle in and out and in and out again, so that you kind of dense the hair (usw. usf.)“ 12

 

Zu erwähnen wäre hier noch unsere launige Diskussion mit dem ungarischen Team über die ungarische Sicht auf die beiden Weltkriege sowie die mit dem pakistanischen Team zum selben Thema, die nicht so ganz verstanden haben, warum wir es ganz ok finden, dass Hitler den 2. Weltkrieg nicht gewonnen hat.

 

8) Klausuren

Bei der IBO gibt es zwei Klausurtage: Einmal für die Praxis (4 Klausuren von je 1,5 Stunden) und einmal für die Theorie (2 Klausuren von je 3 Stunden). Die Praxis wurde in einer Schule geschrieben, mit einem komplizierten System, welche Schüler wann, wie, wo, in welchen Raum hätten wechseln müssen, um die Klausuren reihum zu schreiben. Das klingt auf den ersten Blick logisch, sind Schulen doch gebaut worden, um große Schülermengen zu fassen, auf den zweiten Blick jedoch hätten einem schon Bedenken an der Durchführbarkeit eines solchen Unterfangens kommen können.

Sprich: Das ganze ging 8 Uhr los und dauerte 14 Stunden.13 Die Klausuren waren:

1 – Zoologie/Botanik, mit Pflanzenbestimmung und Zerlegung eines Hähnchenflügels

2 – Mikrobiologie mit Blutzuckerbestimmung und Gelelektrophorese

3 – Bioinformatik (als ob Biologen Informatik könnten…)

4 – Biochemie mit DC14 und einer biologischen galvanischen Zelle

Als gegen 22:00 Uhr bekannt wird, dass das Hotel sogar das Abendessen für uns warm gehalten hat, gibt es spontane Standing Ovations.

So folternd wie die Praxis war, so unspektakulär war dann die Theorie.

 

9) Cultural Night

Zur Cultural Night treffen wir unsere Betreuer wieder, die sich erstmal über unsere Wetten abfeiern und dann mit den Ergebnissen sticheln. Dafür können wir uns endlich bei den Schweizern (da Deutschland und die Schweiz gemeinsam übersetzen) über die ganzen Doppel-s beschweren. Die Schweizer wiederum waren vom „ß“ reichlich irritiert. Wer es noch nicht rausgefunden hat: Ich bin zur Cultural Night mit roten Schleifchen im Haar durch die Gegend gerannt. Retrospektiv sollte es mich vielleicht stutzig machen, dass erstaunlich viele Leute das erstaunlich normal fanden. Zum Abendessen gibt es -Überraschung!- Gulasch mit Paprika.

Außerdem haben die Schweizer das Ergebnis des Pipettierwettbewerbs aus der Vorbereitungswoche gelüftet. Gold für mich, Hauptpreis: Eine Packung echte ungarische Gulaschsoße.

 

10) Ergebnis

Nachdem sich am letzten Tag alle Teilnehmer und Betreuer (im Deutschen Team alle geschmückt mit einer schicken schwarz-rot-goldenen Krawatte15) im großen Hörsaal der Universität in Szeged und in banger Erwartung ob des Ergebnisses versammelt hatten, wurde bekannt, dass aufgrund eines schwerwiegenden Fehlers in der Auswertung entgültige Ergebnisse leider noch nicht vorhanden seien. Trotzdem wird erstmal die (etwas sinnentlehrte) Abschlussveranstaltung gehalten, dann werden alle Schüler zum festlichen Abendessen eskortiert, während die Betreuer im Hörsaal eingeschlossen werden, um das Ergebnis auszudiskutieren.

Als nach einer Stunde kein Ergebnis vorhanden ist, fangen wir schon mal mit dem Buffet an, es wäre ja schade gewesen das Essen kalt werden zu lassen. Das ist auch unsere letzte Chance, Restbestände von Haribo und Basler Leckerli unter die Leute zu bringen.

Als nach zwei Stunden noch kein Ergebnis vorhanden ist, wird die Tanzfläche eröffnet.
Kurz vor Mitternacht trifft die Jury dann schwer gezeichnet ein.

 

- Cliffhanger -

 

Ich wache im Flugzeug auf. Nachdem ich wegen eines suboptimalen Zeitplans um Mitternacht beim Eintreffen der Jury mit dem Bus abgefahren bin und dann am Flughafen übernachtet habe, werde ich telefonisch über die Ergebnisse informiert:

Für Deutschland gab es in diesem Jahr dreimal Bronze für Nantje, Fabian und mich sowie einmal Silber für Bruno.

 

Ich fasse damit die Erkenntnisse der diesjährigen IBO zusammen:

 

I Erstaunlich viele Leute können rein zufällig Deutsch.

II Ungarn finden vegetarische Ernährung grundsätzlich ok, sind aber der Ansicht, dass es ohne ein bisschen Fleisch einfach nicht schmeckt.

III Ja, das sind Dreadlocks, ja das sind meine echten Haare und ja man kann sie waschen.

 

11) Werbung

Wenn du16 diese Erfahrung auch einmal hautnah erleben willst, dann gib einfach deine aktuelle Hausaufgabenrunde beim Biolehrer deines Vertrauens ab. Nächstes Jahr geht es nämlich nach Japan! Natürlich kommt davor auch der Part, wo man verzweifelt versucht, Harnstoff- und Citratzyklus nicht miteinander zu verwechseln, wo man Blütenformeln lernt und Insekten auseinandernimmt, aber ob jetzt Hamsterstreicheln oder doch angewandte Chemie- ich spreche aus Erfahrung, es hat sich gelohnt.

 

1 „Du heißt Doktor mit Nachnamen? Dass ist ja witzig! Wenn du dann einen Doktor machst, dann heißt du ja Dr. Doktor!“

Ja, hab ich auch schon drüber nachgedacht, aber es erscheint mir deutlich weniger aufwändig, einfach jemanden mit dem Nachnamen "Professor" zu heiraten.“

2 Für alle Ostwaldschüler, die den Wortwitz nicht sofort geknackt haben: Es ging um Bienen.

3 HarIBO… you understand?

4 Quasi Lebkuchen. Und es wird echt ohne „e“ am Ende geschrieben.

5 Egal

6 Nein, das war nicht meine Wette!

7 Wusstet ihr übrigens, dass man in Szeged ganz toll studieren kann? Wurde uns mehrfach glaubhaft versichert.

8 Ich wusste, dass du das jetzt googelst.

9 So stell ich mir das zumindest immer vor.

10 Das steht hier nicht alleinig aus dem Grund in Deutsch da, weil ich zu faul bin, es in Englisch aufzuschreiben, es konnen tatsächlich echt viele andere Länder Deutsch.

11 Z = {Biochemie; Mikrobiologie; Chemie; Medizin}

12 Wenn ich Englisch-LK genommen hätte, dann hätte ich ja keinen Bio-LK gehabt, aber die Japaner habens tatsächlich verstanden.

13 Wir haben also effektiv mehr gewartet als Klausur geschrieben.

14 Für alle Jüngeren: Das erklärt euch Herr Bätz dann irgendwann.

15 „Jetzt fühl ich mich wie ein AfD-Funktionär.“ - Bruno

16 Ja genau! Du!

 

PS: In nächster Zeit folgt dann Teil 2 der Reihe „Die schönsten Autokratien Osteuropas“- Moskau