Die Schule für besonders begabte SchülerInnen in Mathematik/ Naturwissenschaften/ Informatik des Großraums Leipzig

"Mama, ich bin über's Wochenende weg. Ich werde bei einem naturwissenschaftlichen Wettbewerb teilnehmen." Solche Sätze sind in der Tradition des Wilhelm-Ostwald-Gymnasium keine Seltenheit. Viele Schüler verbinden ihre guten Leistungen in der Schule mit der Möglichkeit, sich mit Gleichgesinnten zu messen und Kontakte zu knüpfen. Diese kleinen Abenteuer belaufen sich meist über ein Wochenende, selten länger.

Doch von Zeit zu Zeit - genau genommen einmal pro Jahr - ruft der Verein "Bildung und Begabung" die Schulleitungen ausgewählter deutscher Schulen (also auch jene im Ausland) dazu auf, Kandidaten für die Deutsche SchülerAkademie vorzuschlagen. Daraufhin kann man zwischen unzähligen Kursen verschiedener Akademien entscheiden und mit etwas Glück ist man dabei. (56% aller Teilnehmer werden genommen. Dabei werden Bundesland und Geschlecht berücksichtigt, sodass eine ausgewogene Geschlechter- und Herkunftsverteilung über ganz Deutschland entsteht, wobei die Bevölkerungsdichte der Bundesländer selbstverständlich Beachtung findet. So gibt es selbstredend mehr Teilnehmer aus Baden-Würtemberg als aus dem kleinen, aber schönen Saarland. - Für die Mathe-Begeisterten unter euch eine knifflige Aufgabe, zu berechnen wie groß die Wahrscheinlichkeit für einen Sachsen ist, genommen zu werden. Lösungen können gerne an mich gereicht werden ;))

Wie viel Glück ich auch immer brauchte, Fortuna war mir hold und ich durfte an der Akademie in Urspring teilnehmen. 17 Tage in einem Internat direkt neben Schelklingen, 30 Kilometer von Ulm entfernt. Zweieinhalb Wochen zusammen mit 95 anderen, bis dahin fremden Jugendlichen.

Doch bevor es so richtig losging, musste die meist lange Anreise überstanden werden. Der Weg aus Porto, New York, Paris, aber auch Hamburg, Detmold oder Leipzig ist weit; die Verspätungen der Bahn trugen ihren Teil dazu bei. Nach 9stündiger Fahrt erreichte auch ich endlich das Ziel, wurde nett begrüßt und abgesehen vom miserablen Wetter war ich sofort begeistert. Das Zimmer war sehr geräumig und hatte trotz der spartanischen Einrichtung einen besonderen Charme. Das Gelände umfasste eine riesige Fläche und schon beim Abendbrot begegnete ich den ersten netten, jungen Leuten und dem beständig leckeren Essen der Kantine. Nach der Mahlzeit hieß es sowohl im Begrüßungsplenum als auch in der ersten Kurseinheit Vorstellen und vor allem Namen merken. Verpackt in gewitzte Kennenlernspiele war dies aber nicht sonderlich schwierig, sodass man schon in der ersten Nacht eine Menge Informationen zu verarbeiten hatte.

Wie jeden Tag begann auch der darauffolgende Freitag mit dem von 7.30 bis 8.15 Uhr andauernden Frühstück. Halb 10 folgte das Plenum, bei dem sich alle Teilnehmer und Mitglieder des Akademieteams (das sind alle Kursleiter exklusive Musikleiterin und den 3 Hauptorganisatoren) trafen, Organisatorisches klärten und KüA's anboten. KüA's stehen für Kursübergreifende Angebote, die jeden Tag auch die kursfreie Zeit informativ und unterhaltsam gestalteten. So fanden sich neben Chor, Kammerchor, Instrumentalistengruppen, Klezmer-Gruppe (jüdische Volksmusiktradition) und Jazz-Combo auch Angebote wie professionelles Fotografieren, Standardtanzen, Breakdance, Theater, jegliche Sportmöglichkeiten sowie Einblicke in verschiedene Sprachen wie das Chinesische, Portugiesische und das Arabische. Um nur einige zu nennen.

Anschließend begann die erste Kurseinheit, die sich über den gesamten Vormittag bis zum Mittagessen erstreckte. Nach diesem folgten nun 3 Stunden Freizeit, in denen man oben besagten Angeboten nachgehen oder spontane Ideen starten konnte. 16 Uhr trafen sich alle bei Kaffee und Kuchen wieder, bevor sie anschließend weitere 2 Stunden im Kurs arbeiteten. Darauf folgte erneut  eine Mahlzeit, die gemeinsam mit den bis in die Nacht reichenden Aktivitäten den Tagesabschluss bildete.

Doch was machte man denn eigentlich in den Kursen?
Die Kurse hatten das Ziel sich im gesamten zeitlichen Rahmen auf universitärem Niveau verschiedenen Themen zu nähern. So waren in unserer Akademie die Kurse "Mathematische Modellierung von Entmischungsprozessen", "Theoretische Neurophysiologie. Von Neuronenmodellen zur Simulation von Gehirnfunktionen", "Die Welt des Kleinen. Oberflächenchemie und Nanostrukturen", "»Clash of cultures« oder friedliche Koexistenz? Christentum und Islam vom frühen Mittelalter bis zur Gegenwart", "Metaphern" und "Was ist Wahrheit? Philosophische Annäherungen" vertreten. Mein Kurs handelte von Metaphern (die übrigens in jedem Wissenschaftsgebiet, also auch in allen Naturwissenschaften zu finden sind ;)). Wem sich nun die Frage stellt, wie man zu diesem Thema zweieinhalb Wochen arbeitet, dem sei nur ein kleiner Einblick in den Kursinhalt gewährt:

  • Metaphern als linguistischer Sicht. Einordnung und Bildspender-Bildempfänger-Modell
  • Metaphern im Leben. Vom Alltag über Mathe und Kunst bis hin zur Wissensgesellschaft (nautische Metaphorik im Bezug auf das Internet), Neurophysiologie und der Wirtschaft.
  • 'Reise in ein Metaphernland'. Verschiedene wissenschaftliche Metapherntheorien und deren Kritikpunkte werden in Gruppen erarbeitet und ihr Inhalt in Form von Landkarten dargestellt. Anschließend folgt ein ausführlicher 'Reisebericht', der den anderen Kursteilnehmern Einblick gewährt.
  • Kognitive Metapherntheorie, die die Metapher nicht als rein sprachliches Phänomen, sondern als Ausdruck eines konzeptuellen Systems im Kopf jedes Menschen gesehen. Beschäftigung mit der Kritik.
  • Expertenbesuch von Dr. Helge Skirl. Offenes Gespräch mit dem Schwerpunkt auf seiner Kritik und seiner eigenen Metapherntheorie.
  • Linguistische Fallstudie: Korpusanalyse zur Berichterstattung der FIFA WM 2010.
  • und selbstverständlich viele Diskussionen. ;)

Um das neue Wissen anzuwenden und zu festigen, bestand der Vormittag des zweiten Samstags der Akademiezeit aus der sogenannten Rotation. Ziel war es, in Gruppen zu je 4 Personen eine typische Kurseinheit zu gestalten, die von anderen Akademieteilnehmern besucht wurde. Dies offenbarte die Möglichkeit in drei der Einheiten einem anderen Kurs beizuwohnen und einen Einblick in deren Arbeit zu gelangen, forderte jedoch auch dazu auf selbst aktiv zu werden. Dabei galt es selbstverständlich darauf zu achten, frei zu sprechen, und ein gelungenes Zeitmanagement zu erreichen, da in einer anschließenden Feedback-Runde eine Bewertung der Arbeit erfolgte.

Zudem war es Aufgabe jedes Kurses am Ende der Akademiezeit eine wissenschaftliche Dokumentation über seine Arbeit anzufertigen, die einen Umfang von 25 bis 30 Seiten haben sollte. Durch koordinierte Arbeitsteilung und intensive Konzentration verlor man jedoch wenig Freizeit, die besonders zum Ende besonders rar wurde. Grund dafür war die Vorbereitung der verschiedenen Auftritte, die am Ende jeder Akademie üblich sind. So gab es neben dem Dankes-Ständchen des Kammerchors an die Mensa ein öffentliches Abschlusskonzert, das den verschiedenen musikalischen Experimenten Raum zur Darbietung ließ. Mein persönliches Highlight war das von einer Akademieteilnehmerin selbstkomponierte Stück "Kolibri's Abschied" für Klavier und Marimbaphon.

Ebenso gehaltvolle Auftritte gab es auch am letzten Akademieabend zu bestaunen. Nach erneut musikalischem Einstieg überzeugten sowohl das "literarische Medley in einem Akt" der Theatergruppe, die beispielsweise Passagen aus Faust adaptierte und amüsant an die heutige Zeit anpasste, als auch die HipHop-Perfomance. Die große Abschiedsparty und der ruhige Ausklang am Lagerfeuer (das dritte der Akademie) sollte einen gelungen Abschluss des Tages darstellen.

Spätestens am nächsten Morgen bei der allgemeinen Verabschiedung schlich sich eine traurige Abschiedsstimmung ein, die wohl den einen oder anderen bis nach Hause verfolgte, wo es - mit 111 Menschen weniger an der Seite - doch verhältnismäßig ruhig erschien. Doch der sentimentale Abschied zeigt auch, dass die Zeit der SchülerAkademie eine sehr schöne Erfahrung war, die ich persönlich nicht missen möchte. Durch Instutitionen wie dem 'Club der Ehemaligen' und den allgemein bekannten Social Networks ist es außerdem möglich in Kontakt zu bleiben.

Wer sich für die Deutsche SchülerAkademie interessiert oder noch mehr Informationen über meinen Ausflug erhalten möchte, kann mich jederzeit kontaktieren.

Mit freundlichen Grüßen,
Marvin Franke

P.S. Aus rechtlichen Gründen bleibt dieser Beitrag bis auf Weiteres ohne Foto. (;